Gerade die vergangenen Monate stellen für viele Eltern eine besondere Herausforderung dar. Doch nicht nur Erziehungsberechtigte haben mit den Auswirkungen der COVID-Situation zu kämpfen, auch Kinder sind nun öfters mit den Erwachsenen zuhause und können Konflikten nicht so leicht entfliehen. Besonders konfliktgeladen sind nun Familien, in denen Eltern oder Erziehungsberechtigte vermehrt zur Flasche greifen.
Kinder können sich ihre Eltern nicht aussuchen, sie sind das schwächste Glied im Familiensystem. Sie sind, abhängig vom Alter, angewiesen auf Eltern, die ihre grundlegenden Bedürfnisse stillen. Ist es den Eltern aufgrund einer Abhängigkeit oder der Betreuung einer solchen Person nicht möglich Bedürfnisse wie Liebe, Fürsorge und Zuneigung zu erfüllen, finden Kinder andere Möglichkeit zu bekommen, was sie brauchen.
Dass Kinder nichts vom missbräuchlichen Konsum der Eltern mitbekommen, ist ein Irrglaube. Eltern kommunizieren immer, verbal oder nonverbal. Auch das Nichts-Sagen hat Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung. Kinder können ihre Gefühle, Ängste und Nöte nur noch nicht so zum Ausdruck bringen wie es Erwachsene tun.
Die Sucht betrifft alle in der Familie
Wenn ein Elternteil eine Abhängigkeit entwickelt oder in die Familie mitbringt, betrifft das immer auch die anderen Familienmitglieder. Auf der einen Seite steht der abhängige Elternteil, der seine Aufmerksamkeit und Energie in die Beschaffung des Suchtmittels und die Befriedigung der Sucht steckt, auf der anderen Seite steht der andere Elternteil, der seine Aufmerksamkeit und Energie dem Süchtigen schenkt, indem er Aufgaben übernimmt, helfen möchte, die Problematik „geheim“ hält oder die Sucht in irgendeiner anderen Art und Weise „unterstützt“. Dazwischen steht das Kind. Damit sie in diesen Familienverhältnissen überleben können, entwickeln sie verschiedenste Strategien, übernehmen Aufgaben oder Verantwortung, die meistens nicht ihrem Alter entsprechen und versuchen Aufmerksamkeit zu bekommen, egal ob diese positiv, in Form von Lob, oder negativ, in Form von Konflikten, besteht.
Das Kind steht immer zwischen den Eltern. Damit sie in diesen Familienverhältnissen überleben können, entwickeln sie verschiedenste Strategien.
Das typische Kind abhängiger Eltern gibt es genauso wenig wie den typischen Abhängigen. Die familiäre Situation, die jeweiligen Persönlichkeiten und andere Faktoren bilden ein individuelles Familiensystem, das auf individuelle Hilfe bzw. Begleitung angewiesen ist.
Was ist eigentlich abhängiges Verhalten?
Das Diagnoseklassifikationssystem der WHO spricht von einer Abhängigkeitserkrankung, wenn „drei oder mehr der folgenden Kriterien (siehe unten) zusammen mindestens einen Monat lang bestanden haben. Falls sie nur für eine kürzere Zeit gemeinsam aufgetreten sind, sollten sie innerhalb von zwölf Monaten wiederholt bestanden haben.“
Kriterien für Alkoholabhängigkeit (laut ICD-10)
- Starker Wunsch oder Zwang, die Substanz zu konsumieren (Craving)
- Verminderte Kontrollfähigkeit über den Beginn, die Beendigung oder die Menge des Alkoholkonsums
- Körperliches Entzugssyndrom nach Beendigung oder Einschränkung eines übermäßigen oder lang andauernden Alkoholkonsums (Kopfschmerzen, Zittern, Übelkeit, Müdigkeit, …)
- Toleranzentwicklung gegenüber der Wirkung (es ist nach einiger Zeit eine steigende Menge notwendig, um die gewünschte Wirkung zu erzielen)
- Vernachlässigung anderer Vergnügen und Interessen (Familienfeste, Verabredungen, sportliche Aktivitäten, …)
- Anhaltender Konsum trotz Gesundheitsschäden
Welche Gefahren und Herausforderungen bringt der Alltag in einer Familie mit problematischem Alkoholkonsum mit sich?
#Sicherheit ist nicht gegeben: Klare alkoholische Flüssigkeiten werden in Wasserflaschen versteckt. Oft verstecken Abhängige den Alkohol vor Familienmitgliedern in verschiedenen, unscheinbaren Küchenutensilien, die für Kinder leicht zu Verwechslungen führen und somit auch konsumiert werden können. Alkohol sollte unbedingt kindersicher, am besten versperrt, gelagert werden.
#Es wird auch geraucht: In vielen Familien mit problematischem Trinkverhalten wird auch geraucht. Viele Menschen konsumieren Alkohol und Zigaretten in Kombination. Eltern sollten sich über die Auswirkungen des Rauchens auf Kinder innerhalb der Wohnräume informieren. Im besten Fall rauchen sie gar nicht vor den Kindern oder gehen dazu ins Freie. Vor allem bei Neugeborenen und Kindern im ersten Lebensjahr erhöht das Rauchen in der Umgebung des Kindes das Risiko für den plötzlichen Kindstod.
#Kinder werden zur Alkoholbeschaffung herangezogen. Kinder sollten nie Alkohol beschaffen müssen, egal ob sie direkt im Geschäft dazu aufgefordert werden („Hol mir doch mal eine Flasche Wein von da hinten“) oder dazu sogar das Haus verlassen müssten („Geh doch mal schnell runter zur Tankstelle und hol mir eine Dose Bier“). Sie erleben dann den Konsum und die Beschaffung als „normal“, was nicht zur Suchtprävention bei Kindern beiträgt. Eine frühe, altersgemäße Aufklärung über Abhängigkeit ist hier besonders wichtig, auch wenn man als Elternteil selbst gerne Alkohol konsumiert.
#Probierkonsum: Eltern konsumieren Alkohol gemeinsam mit ihren Kindern. Besonders Jugendliche tendieren zum Probierkonsum. Eltern sollten jedoch eine klare Haltung zum Thema Alkoholkonsum bei Kindern und Jugendlichen und den damit verbundenen Gefahren vertreten und diese auch kommunizieren. Sie haben eine Vorbildfunktion und klären im optimalen Fall ihre Kinder auch über rechtliche Aspekte und Konsequenzen auf. (Siehe z.B. Jugendschutzgesetz, www.oesterreich.gv.at – Themen – Jugendliche – Jugendrechte – Freizeit – Rauchen und Alkohol und weitere)
#Beeinträchtigung des Urteilsvermögens: Eltern sind während der Aufsicht von Kindern beeinträchtigt. Eltern, die regelmäßig Alkohol während ihrer Aufsichtspflicht konsumieren, gefährden damit das Wohl der Kinder. Die Risikobereitschaft steigt und gefährliche Situationen werden falsch eingeschätzt. Das eigene Urteilsvermögen ist beeinträchtigt und Reaktionszeiten sowie körperliche Funktionen sind verlangsamt. Wurde Alkohol konsumiert, sollen Erwachsene niemals Kinder im Auto mitnehmen.
#Medikamente werden leichtfertig und schneller verabreicht. Die eigene Erfahrung des Elternteils, dass durch Substanzen eine Verbesserung eines unerwünschten Zustandes erreicht werden kann, führt dazu, dass sie ihren Kindern leichtfertiger und schneller Tabletten und Medikamente verabreichen. Hier ist die Rücksprache mit einem Arzt oder Apotheker besonders wichtig.
In jedem Fall gilt: Es ist keine Schande ein Problem zu haben, aber schade, wenn man sich nicht helfen lässt. Familienberatungsstellen, die Alkoholhilfe, die Sucht- und Drogenkoordination Wien und viele andere Beratungsstellen bieten in solchen Fällen kostenlose Beratung und Unterstützung für Erwachsene und Kinder.
Dieser Beitrag wurde im Auftrag von „MeineFamilie.at“ von mir verfasst und auch dort publiziert. Link https://www.meinefamilie.at/wie-wirkt-sich-alkoholkonsum-von-eltern-oder-erziehungsberechtigten-auf-kinder-aus-teil-1/